Kann das Denken das Gehirn verändern…?

Das Ziel in der Beratung und Therapie ist oft die Um- oder Neugestaltung des bisherigen Lebens, in dem sich die Klienten unglücklich fühlen. Dabei geht es um ge- nauere Betrachtung der vorherrschenden Denkmuster und Glaubenssätze, die die akut unbefriedigende Le- benshaltung negativ beeinflussen und aufrechterhalten.

Die Negativtendenz des Gedächtnisses: Klettband und Teflon

Das Wissen darüber, dass das Gedächtnis eine Nega- tivitätstendenz aufweist ist hier von Bedeutung. Das Gehirn bevorzugt unangenehme Erfahrungen, regis- triert und speichert sie, erinnert und reagiert auf sie stärker, als auf Positive: „es verhält sich bei negativen Erfahrungen wie Klettband und bei positiven wie Teflon“ (R. HANSON)

Wenn aber negative Erfahrungen geschehen, dann ist es keine Lösung, sie zu unterdrücken und zu verdrän- gen, sondern es bedarf des Versuchs, ihnen mit einer veränderten Haltung zu begegnen. An dieser Stelle ist das UMDENKEN von großer Relevanz. Hanson spricht sogar von Vorteilen, die negativen Erfahrungen mit sich bringen: „Verlust öffnet das Herz, Reue liefert einen moralischen Kompass, Angst warnt vor Bedrohungen und Wut lenkt die Aufmerksamkeit auf Unrecht, was wiedergutgemacht werden sollte.“

Positive Erfahrungen fördern

Die Lösung besteht aber auch darin, positive Erfah- rungen zu fördern und sie zu verinnerlichen. Das geschieht, indem positive Tatsachen in positive Erfah- rungen – durch verstärktes Wahrnehmen und fühlen – umgewandelt werden. Die Körperempfindungen und Emotionen sind nämlich das Wesen des impliziten Ge- dächtnisses.Einen positiven Einfluss kann auch die ver- mittelnde Sprache haben und eine nachhaltig positive Wirkung enthalten. Wörter, Bilder und Suggestionen verändern das Denken und damit auch die Gefühle.

Beenden – nicht abbrechen

Ein Beispiel: In unserer Gesellschaft sind Abbrecher Verlierer. Wenn man also die Schule oder das Studium

abbricht, eine Beziehung oder Ehe aufgibt, ist man ein Versager, da etwas misslungen ist. Das Wort „abbre- chen“ hat einen negativen emotionalen Beiklang. In emotionaler Hinsicht ist es wesentlich leichter, etwas zu beenden oder damit aufzuhören, als etwas abzubre- chen. Es wirkt besser und fühlt sich also besser an zu kommunizieren und zu verinnerlichen, wenn man z.B. sagt: „Ich habe mein Studium im 2. Semester (erfolg- reich) beendet“. Somit ist die Wahrscheinlichkeit gerin- ger, dass Versagensgefühle hochkommen.

Mind-and-Life

Kann also das Denken das Gehirn und damit einherge- hend auch das Leben verändern?
Diese und andere Themen werden unter anderem in den „Mind-and-Life“- Konferenzen behandelt.

Die erste der „Mind-and-Life“- Konferenz fand 1987 in Dharamsala (seit 1959 das Hauptquartier der tibe- tischen Regierung und der Wohnsitz des 14. Dalai Lamas) statt. 1990 wurde das Life and Mind Institute in Louisville, Colorado (USA), gegründet. Bei regelmäßigen Treffen begegnet sich hier die moderne Wissenschaft und der Buddhismus.

Neuroplastizität

Im Oktober 2004 trafen sich mehrere Neurowissen- schaftler mit dem Dalai Lama, um wissenschaftliche Diskussionen zum Thema „Neuroplastizität“- der Fähig- keit des Gehirns, sich zu verändern – zu führen.

Die Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass es möglich ist, durch geistiges Training (z.B. Meditation) auch das Gehirn zu verändern ,und so das erwachsene Gehirn die gesamte Lebensdauer hindurch offen für Veränderungen bleibt: „Das Gehirn entwickelt sich in Reaktion auf wiederholte Aktivitätsmuster, so dass sei- ne Form tatsächlich ein Ausdruck des Lebens ist, das wir führen.“(Geleitwort des Dalai Lamas). Die Forschungs- ergebnisse machten deutlich, dass Meditationen über das Mitgefühl Gehirnbereiche, die für positive Gefühle und Bereitschaft zum Handeln verantwortlich sind, in einem sehr hohem Ausmaß aktivierten und damit die über 100 Jahre existierende Annahme, dass das Gehirn festen Beschränkungen unterliegt, widerlegten.

Positive Veränderung der Gehirnstruktur

Demnach kann also die bewusst gesteuerte Denkweise, die auf das Positive fokussiert ist, also die systematische geistige Aktivität, auch zu physischen Veränderungen in der Gehirnstruktur führen. Der Prozess der Verände- rung, der im Laufe des Lebens unaufhörlich stattfindet, kann von dem Menschen aktiv mitgestaltet werden, auch im Hinblick auf Beschränkungen, die durch geeig- netes geistiges Training überwunden werden können.

Wir sind wie wir handeln

Die Handlungen des Menschen bestimmen, wer er ist und so wie der Mensch handelt, so wird er sein. Durch die Entdeckung, dass reines Denken genauso eine Wir- kung hat, wie konkretes Handeln, eröffnet neue Mög- lichkeiten, sich immer wieder positiv neu zu erschaffen. Das Leid des Menschen gehört zum Leben genauso wie Freude, Glück und Vergnügen. Es liegt in unserer Natur, sich Sorgen um die Zukunft zu machen, die Ver- gangenheit zu bedauern und sich Vorwürfe wegen der Gegenwart zu machen. Der Frust darüber, etwas nicht bekommen zu können, und die Enttäuschung darüber, dass etwas zu Ende geht, was wir lieben, führen zu Leid. Das ständige Festhalten an der Vergangenheit und das Grübeln darüber, was wir alles hätten anders machen sollen, vertieft den Schmerz und sorgt für Selbstvor- würfe und negative Gefühle. Das Verharren in diesen Gefühlszuständen führt schließlich dazu, dass der Mensch darunter leidet, dass er leidet.

Vergangenheit dient dem Lernen

Die Option die Vergangenheit, die im Gehirn gespei- chert und festgehalten ist, weil es dafür geschaffen ist, zu löschen, gibt es nicht. Sie soll dazu dienen, aus Erfahrungen zu lernen. Mit dem sofortigen Umdenken ins Positive und dem Handeln, das damit einhergeht, sorgen wir für positive Erinnerungen. Es ist so, als ob wir schon heute positiven Einfluss auf unsere Vergan- genheit von morgen nehmen könnten und so weiter… und die positiven und schönen Erinnerungen wiederum nehmen Einfluss auf unser Gehirn, und gleichzeitig unsere Gesundheit.

Die Therapie und Beratung bietet ein solches Erfahrungsfeld: die Möglichkeit neue Erfahrungen zu machen, neue Verhaltens-, Handlungs- und Denk- ansätze zu lernen und zu üben, so dass neue positiv gerichtete Gehirnstrukturen gebildet werden können und Blockaden möglicherweise gelöst werden können.

Heilung als Prozess

Wenn wir es zulassen, positive Erfahrungen zu sammeln und negative Glaubenssätze, die nicht mehr hilfreich sind, loszulassen, ist Heilung durch diesen Prozess nach und nach möglich.

Mit der Annahme, dass wir in jedem Moment unseres Lebens die richtige oder möglichst beste Entschei- dung treffen (NLP), weil es unsere Beschaffenheit ist, können wir leichter die Vergangenheit annehmen und die vermeintlich „falschen Entscheidungen“ loslassen, was uns offener und freier für die Gegenwart und Zukunft macht.

Es ist wie eine Reise, die mit dem ersten Schritt beginnt, ohne ganz genau zu wissen, wo sie hinführt, in der Hoffnung, dass wir es mit der Zeit ein bisschen leichter haben…

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