„Mein Leben im Teigmantel“

Der Zugang zu traumatischen Ereignissen – Arbeit mit der Affektbrücke

Für die Ausgabe des Jahresberichts 2013 der Psychosozialen Beratungsstelle e.V. Hannover, habe ich einen Beitrag zur hypnotherapeutischen „Arbeit mit der Affektbrücke“ verfasst.

In diesem Artikel mit einem Fallbeispiel, beschreibe ich die Möglichkeit, den Zugang zu traumatischen Ereignissen – unter der Voraussetzung einer gewissen Stabilität der Klienten – durch die Arbeit mit der Affektbrücke, zu erreichen. 

Das Ziel dieser therapeutischen Methode ist es, die Funktion eines Symptoms im Leben der betroffenen Person, für diese als Ressource nutzbar zu machen.

Der Zugang zu traumatischen Ereignissen – Arbeit mit der Affektbrücke

Durch die neurowissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre kam es zu der revolutionären Entdeckung, dass das Gehirn die gesamte Lebensdauer hindurch offen für Veränderungen bleibt. Das bedeutet, dass wir durch die Art und Weise, wie wir unsere Aufmerksamkeit und Gedanken konzentrieren, direkt auf die Struktur und Aktivitäten des Gehirns Einfluss nehmen sowie Veränderungen bewirken können. Dies gilt genauso für positive wie negative Veränderungen. 

Für eine wichtige Information halte ich an dieser Stelle eine der Grundannahmen des NLP’s, der Mensch sei eine „bio-psycho-soziale Einheit“, wobei alle drei Faktoren: Erbanlage-Umwelt- Psyche in ihrer wechselseitiger Beeinflussung einen entscheidenden Einfluss auf die allgemeine Gesundheit des Menschen nehmen. Dadurch, dass der Geist und der Körper zwei Teile des gleichen kybernetischen Systems sind, zeigt sich das mentale Geschehen auch körperlich. Die Seele bedient sich also des Körpers, um sich mittels der Symptomsprache Gehör zu verschaffen.

ULRICH SCHAFFER drückt diesen Zusammenhang treffend aus:

„“Geh Du voran“,
sagt die Seele zum Körper,
„auf mich hört er nicht, vielleicht
hört er auf dich“.
„Ich werde krank werden, dann
wird er Zeit für Dich haben“,
sagt der Körper zur Seele.“

Eine weitere Grundannahme ist, dass hinter jedem Verhalten/ Symptom immer eine positive Absicht steckt, es also eine Funktion erfüllt, die vom Bewussten oder Unbewussten als nützlich bewertet wird. Die Aussage, die sich dahinter verbirgt ist, dass auch das Leid, das sich aus Ängsten, Ärger, Stress, Trauer, negativer Überzeugungen, toxischen Beziehungen, psychosomatischen Symptomen etc. ergibt als Wegweiser und Botschaften gesehen werden können, die uns auf den Mangel in unserem Leben aufmerksam machen. In der Therapie ist es im Idealfall ein Optimum, die Funktion des Symptoms im Leben des Betroffenen aufzuzeigen, zu würdigen und als Ressource nutzbar zu machen, anstatt es zu bekämpfen.

Das Leid zwingt uns zum Innehalten und Reflektieren über das eigene Leben und zur Achtsamkeit. Es zeigt, dass wir die eigenen Emotionen zu sehr vernachlässigt haben. C.G. JUNG spricht über die „Dame in Schwarz“ – die Depression oder Melancholie, die auch für das Leid steht und die wir nicht vertreiben, sondern zu einem Gespräch bitten sollten. In der Jungschen Psychologie liegt der Sinn des Leidens darin, dass wir in die eigene Psyche hinuntersteigen, um zu schauen, was sich dahinter verbirgt. 

Somit wird das Leid als eine Chance gesehen, eigene festgefahrene Lebensmuster, Vermeidungsstrategien und damit zusammenhängende innere Konflikte genauer anzuschauen und wichtige Aspekte der eigenen Persönlichkeit, die vernachlässigt wurden, neu zu überdenken und sie wieder mitleben zu lassen. 

Zum Frosch geküsst…

Ich erinnere mich an zwei Aussagen meines Dozenten Christoph Mahr, die fest in meinem Gedächtnis verankert sind: „Wir werden als Sieger geboren und anschließend zu Fröschen geküsst“ und „Wir sind nicht auf der Welt um Bedürfnisse anderer zu erfüllen.“ Auch der arabische Dichter Khalil Gibran erwähnt  in seinem Gedicht, dass die Kinder „die Söhne und Töchter der Sehnsucht
des Lebens nach sich selbst“ sind. Doch die Realität sieht anders aus. Das Selbstwertgefühl, das sich vor allem durch Eigenwirksamkeit entwickelt, wird im täglichen Leben stark strapaziert. In der Hoffnung auf Liebe, Zugehörigkeit, Anerkennung, Sicherheit und Glück passen wir uns oft übermäßig an und stellen illusionäre Ansprüche an uns selbst.  Das Resultat davon ist nicht selten die Selbstentfremdung, Verlust der Autonomie und Verzweiflung. In einem Interview in der PSYCHOLOGIE HEUTE äußert sich VERENA KAST, dass depressive Menschen an einer hohen Anpassungsfähigkeit und Selbstverleugnung leiden.

MILTON ERICKSON spricht davon, dass wir mit einem genialen, wohlwollenden Unbewusstem ausgestattet zur Welt kommen; einem Mechanismus, der auf unsere Sicherheit und unser Glück programmiert ist und um uns zu schützen viele Strategien entwickelt. Und die Sehnsucht nach Liebe hört nie auf..

In seinem Buch „Das Gehirn eines Buddha“ schreibt RICK HANSON, dass wir mit dem Wissen, der Geist sei rational und das Gehirn das soziale Organ des Körpers,  zu einer wichtigen Sichtweise gelangen können, nämlich, dass unsere Beziehungen zueinander kein beiläufiger Teil unseres Lebens ist, sondern grundlegend für einen funktionierenden Geist und ein gesundes Gehirn:  „Unsere sozialen Verbindungen miteinander prägen die neuronalen Verbindungen, welche die Struktur unseres Gehirns bilden“.

Im SPIEGEL WISSEN (1/2009) Interview: „Das Gehirn ist eine Baustelle“ macht GERALD HÜTHER, einer der renommiertesten Hirnforscher Deutschlands, darauf aufmerksam, dass unsere Erfahrungen einen kognitiven und einen emotionalen Anteil haben und die innere Haltung eines Menschen aus der Summe dieser Erfahrungen, die ein Mensch macht, formt. „Eng machende Haltungen hat sich ja niemand freiwillig in sein Hirn gebaut. Es waren Beziehungserfahrungen, die uns in diese inneren Einstellungen gezwungen haben.“   Um auf den enormen Einfluss unserer Beziehungen auf unsere Gehirngesundheit zu kommen, müssen also neue positive Beziehungserfahrungen gemacht werden, damit eine neue Haltung entstehen kann. 

„Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“ (Milton H. Erickson)

Traumatische Beziehungserfahrungen sind fest im Gehirn verankert. Diese alten Verschaltungsmuster lassen sich kaum auflösen. Durch hypnotherapeutische Arbeit ist es möglich ihre Bewertung zu verändern. M.H. ERICKSON entwickelte eine Reihe nützlicher Methoden für den Umgang mit emotionalen Traumen und für die Herstellung einer Balance zwischen emotionalem und verstandesmäßigem Erleben. In der therapeutischen Arbeit mit der Regression wird zunächst der emotionale und der intellektuelle Inhalt getrennt, damit der Betroffene diese unabhängig voneinander betrachten kann. Dadurch ist es möglich das alte Trauma noch mal neu zu erleben und  zu lernen, das alte Gefühl mit allen Körperwahrnehmungen neu zu bewerten. 

Eine Möglichkeit, um den Zugang zu traumatischen Ereignissen zu erreichen ist die Arbeit mit der Affektbrücke, wobei es wichtig ist, dass der Klient eine gewisse Stabilität mitbringt und eine sichere, vertrauensvolle therapeutische Beziehung vorhanden ist. Durch die Trance wird „eine Brücke“ zum Unbewussten hergestellt, die einen Zugang zu den biographischen Hintergründen einer Störung ermöglicht.

Viele Klienten entwickeln in gegenwärtigen, problematischen Situationen eine „Spontanregression“ hin zu belastenden (Kindheits-)Ereignissen, die sie meist unbewusst aktivieren und oft nicht in der Lage sind „erwachsen“ zu reagieren, da sie sich in ihrer kindlichen Handlungs(un)fähigkeit befinden.

Vergangenheit Zurückführen Gegenwart

Traumatische Problemsituation

Erfahrung (präsent machen)

Zeitlinie

Affektbrücke

Nachfolgend möchte ich diese Methode anhand eines Falles schildern. 

Annabell S. (Name geändert), 20 Jahre alt, kommt in Begleitung ihrer Mutter in die Beratungsstelle, weil sie seit einigen Wochen unter permanenten Angst- und Panikattacken mit typischen Begleitsymptomen wie Schlafstörungen, gekennzeichnet durch frühmorgendliches Aufwachen, Albträumen und Einschlafschwierigkeiten leidet und aus diesem Grund das Haus ohne Begleitung nicht verlassen kann. Hinzu kommen Appetitlosigkeit (8 Kilo in kürzester Zeit abgenommen), Übelkeit, Magendruck und täglicher Durchfall. Sie erlebt sich ohnmächtig und bekommt plötzliche Weinkrämpfe ohne deutliche Auslöser. Das  Selbstwertgefühl ist stark reduziert. 

Außerdem berichten sie über seit Jahren auftauchenden Lähmungsgefühlen in den Beinen in unterschiedlichen Situationen. 

Es kann sich möglicherweise um ein posttraumatisches Symptom (Traumastarre) handeln, das darauf zurückzuführen ist, dass Annabel in der Vergangenheit eine existenzielle Bedrohung erlebt hat. In solchen Situationen ist die unmittelbare Reaktion eines Menschen entweder der Kampf (Wut) oder die Flucht. Wenn die Bedrohung übermächtig ist und beides nicht möglich ist, so verfällt der Mensch in einen Erstarrungszustand (Freezing). Da dieser Zustand als „sich bewährend“ gespeichert wurde, kann er später in bedrohlichen Situationen bei der betroffenen Person immer einwieder kehren. Ulrich Schaffer macht in der letzten Strophe seines Gedicht „Zum Erschießen aufgestellt“ auf dieses Phänomen aufmerksam:

 „…Ich erstarre immer noch. In Steifheit trägt mein Rücken in sich, was er damals nicht verstehen konnte. Er glaubt immer noch, dass es ausreicht unbeweglich zu sein, um zu überleben.“

Annabell leidet zu dem Zeitpunkt an Verfolgungsängsten: „Ich sehe überall Männer, die mir etwas antun wollen. Ich habe mich noch nie beschützt gefühlt. Die Menschen haben mich immer alleine zurückgelassen. Es kommt mir vor als würde ich mit einem Schleier vor den Augen und einem schweren „Teigmantel“ durch mein Leben laufen.“

Annabell berichtet über ihre heftigen Reaktionen, die auf Kränkung und drohende Verlassenheit hervortreten, wie Wut, Hass, Neid, Ohnmacht und Trauer, die auf eine Frühstörung und emotionale Verlassenheit hinweisen könnten. Oft fühlt sie sich nicht gesehen und „in den Schatten gestellt“.

Weitere Exploration ergibt, dass Annabell mit einer alkoholabhängigen Mutter und einem spielsüchtigen, gewalttätigen Vater aufgewachsen ist. Sie hatte keine anderen Bezugspersonen und war den Eltern hilflos ausgeliefert. Nach der Trennung der Eltern blieb sie erst bei der Mutter. Im Alter von 11 Jahren hat das Jugendamt sie dem Vater zugesprochen, da ihre Mutter durch ihre Sucht und andere psychische Probleme nicht mehr in der Lage war, ihren mütterlichen Pflichten nachzugehen. 

Im Alter von 13 Jahren ist Annabell mehrmals von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. Nachdem sie wieder bei ihrer Mutter lebte, wurde sie vom Vater mit obszönen Mails sowie Videos mit perversen Inhalten und Drohungen belästigt. Die Mutter trank wieder und Annabell fühlte sich für sie verantwortlich. Es fand eine mögliche Parantifizierung statt.  Mit 16 Jahren wurde sie tablettenabhängig.  

Zum Zeitpunkt des Erstgesprächs zeigte sie ihren Vater an und eine Gerichtsverhandlung stand ihr bevor. 

Die verstärkte Symptomatik hat dazu beigetragen, dass sie nicht mehr die Schule besuchen konnte und diese abgebrochen hat. Die Entwicklung einer ängstlichen Persönlichkeit war zu diesem Zeitpunkt deutlich sichtbar.

Die Entstehung des Teigmantels

Nach einigen stabilisierenden Sitzungen mit dem Fokus auf Ressourcen-orientierung, – aktivierung, – stärkung, Entspannungstrance- Übungen, Imaginationsübungen wie „Der innere sichere Ort“, Exploration der negativen Glaubenssätze und deren Veränderung, stand eine Hypnosesitzung an, auf die sich Annabell schon gefreut hat, da sie sich in den vorherigen Tranceübungen gut gefühlt hatte. Die Hypnose sollte auf das Wiederbegegnen des Vater gerichtet sein, da diese Vorstellung bei Annabell Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht auslöste. Sie beschrieb es als ein „komisches Gefühl im Kopf. Es ist ein Druck, als wäre etwas in meinem Kopf eingequetscht. Es klemmt mich ein; es bringt mich durcheinander und macht mich verlegen. Ich habe ein schlechtes, bedrückendes Gefühl im Bauch.“

Die Beschreibung von Annabell weist auf eine „Spontan-Regression“ hin. Diesen Umstand, dass sie in der Vorstellung der Problemsituation (die Vorstellung der Begegnung mit dem Vater im Gericht) spontan regrediert, konnte ich nutzen, um sie über die in dieser Situation entstehenden Affekte zu den verdrängten Erfahrungen zu führen. 

Nach der Tranceinduktion ist das auch der nächste Schritt.

  1. Präsent-Machen und Orientierung auf das Gefühl (über das körperliche Empfinden), das mit dem vorgebrachten Problem verbunden ist

„…und nachdem du die Augen geschlossen hast und dich hier in diesem Raum eingefunden hast, stelle dir diese bestimmte Situation vor, in der du diese Angst (benannte Gefühle sehr genau wiederholen) deutlich spürst. Gehe da noch mal hin. Und wenn du da bist, spüre einfach einmal, wie sich das anfühlt..“

Annabell: „Noch ist es wie ein unaufgeräumter Film.. Gedanken und Bilder kommen und sind sehr durcheinander..“

  1. Die Spontan-Regression nutzen

„… du weißt, wie alt du bist, und du weißt, dass man sich sehr unterschiedlich alt fühlen kann. Und wie alt bist du, wenn du dieses Gefühl hast, fühlst du dich erwachsen oder jünger?“

Annabell: „Ich sehe mich als Kind. Bin ungefähr 4 Jahre alt. Ich bin alleine und es ist leer, still, grau und weiß. Ich habe ein rosa Kleid an, kinnlange Haare, weiße Lackschuhe und Bündchensocken an. Es ist warm und langsam kommt Farbe ins Spiel. Ich schaue mich um und drehe mich.. es sind viele Farben um mich herum und alles ist durcheinander. Ich sehe einen Sandkasten weiter weg auf einer Wiese.. ich gehe da nicht hin und drehe mich weg.. es reizt mich dort hinzugehen.. Jetzt bin ich nicht mehr klein. Vielleicht so 12 oder 13..Die Farben sind weg. Ich fühle mich jetzt alleine und bin traurig. Irgendetwas ist da. Ich fühle diesen Druck und das komische Gefühl im Bauch.. eine Art Beklemmung. Spüre meine Beine nicht mehr und sehe nichts..“ (Missbrauchsalter)

  1. Erweiterung der Perspektive
  2. Aktivierung des traumatischen Erlebnisses oder der traumatisch erlebten Episode

„Jedes Kind, das in einer solchen Situation ist denkt, ich bin es nicht wert beschützt zu werden, ist das so?“

Annabell: „Ja“

  1. Den Klienten auf die Kontextvariablen des Geschehens hinweisen und eine Erweiterung der Perspektive anregen

„ …und wenn du jetzt auf diese Situation von Außen schaust, mit deinen erwachsenen Augen und all dein Wissen nutzt, das du heute besitzt, was siehst du und was glaubst du, braucht die kleine Annabell jetzt?“

Annabell: „Sie braucht Schutz. Hmmm.. seltsam. Irgendetwas ist da. Ich bin nicht mehr alleine. Es fühlt sich so gut und warm an, als würde mich etwas umarmen. Das ist schön. Mein Bauch, mein Hals, meine Arme umhüllt etwas. Ich fühle mich beschützt.“

(Entstehung des Teigmantels- einer beschützenden Instanz)

„Ich kann wieder meine Beine fühlen und laufe wieder los. Menschen, die ich kenne und mag hängen sich an mich dran.“

  1. Dem Kind die erweiterte Sichtweise und Neuinterpretation des Geschehens zugänglich machen und die dadurch veränderten Gefühle ratifizieren und Re-Parenting

„Ja, es ist doch ganz normal, dass kleine Mädchen Schutz brauchen und wenn du dich jetzt umschaust, was siehst du da? Und wie fühlt es sich an so umhüllt und beschützt durch die Welt zu laufen?“

Annabell: „Ich sehe andere Menschen um mich herum. Sie machen einen Kreis um mich. Es fühlt sich gut an. Ich sehe in der Ferne eine Person, der so aussieht wie mein Vater.. Ich habe keine Angst. Ich bin nicht alleine und ich bin groß.. Jetzt kann ich mich sicher fühlen. Und da ist noch die Wärme, die mich umhüllt und die ich auch in mir spüren kann..

Jetzt sehe ich von Außen, dass wir alle in einem Raum sind. Warme Farben füllen ihn und der Raum wird um uns herum eingerichtet .. ich glaube mein neues Zuhause entsteht.“

  1. Ökologische Überprüfung

„Jetzt, nachdem du eine gute Möglichkeit gefunden hast, um deine Schwierigkeit zu überwinden, kannst du das auch deutlich spüren, wie sich das körperlich auswirkt, nicht wahr?“

Annabell: „Ja, mein Kopf ist frei, ich spüre angenehme Wärme in meinem Bauch und im ganzen Körper. Fühle mich immer noch umhüllt und beschützt und bin nicht alleine..“

„ Dann lass dieses Gefühl durch deinen Körper richtig fließen und beobachte, was passiert, wenn du dir jetzt die Anfangssituation vorstellst, wenn du im Gericht deinem Vater begegnest.. Gibt es da noch mögliche Spannungen und unangenehme Gefühle?“

Annabell: „Leicht meldet sich der Kopfdruck, geht aber wieder zurück.. Mein Vater ist wie hinter Nebel. Es ist ok für mich.“

  1. Posthypnotische Suggestionen und Amnesie

„Auch wenn dein Unbewusstes schon eine Bereitschaft erkennen lässt, dich bei der Situation zu unterstützen, so kann es nicht alle Details überblicken und überprüfen.. du kannst es weiter für dich daran arbeiten lassen, vielleicht nachts, wenn du träumst oder tagsüber, wenn deine Gedanken mal abschweifen..

Und wenn du gleich damit beginnst, dich zurück zu orientieren, kannst du gleichzeitig alles, was noch unerledigt ist gut verpacken und hier einen Ort finden, wo du es deponieren kannst.. und so kann auch jetzt langsam alles verblassen wie ein Traum.. und jedes Mal, wenn du in eine solche Situation kommen solltest und sich das unangenehme Gefühl ankündigt wird dich dein Unbewusstes erinnern, wo es hingehört.. du kannst neugierig sein, was stattdessen kommt.. und es wird gut für dich sein, denn dein Unbewusstes ist wohlwollend und will dich beschützen… so wie der Teigmantel damals dich beschützt hat und den du jetzt vielleicht nicht mehr brauchen wirst.. dann sei neugierig, wofür er noch gut sein kann…“

Annabell leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. An ihrem Beispiel kann man erkennen, wohin seelische Verletzungen und traumatisierendes Handeln durch Bezugspersonen führen und welche Folgen sie für die seelische und körperliche Gesundheit haben können. Hier wird auch die Einheit und die gegenseitige Wirkung von Körper-Geist- und Umwelt sichtbar. Auch heute noch leidet Annabell unter den widrigen Umständen ihres Umfeldes.

Durch die therapeutische Arbeit ist jedoch eine deutliche Verbesserung und steigernde Stabilität ihres Gesundheitszustandes zu erkennen. Sie nutzt ihre Ressourcen im Alltag und grenzt sich von destabilisierenden Einflüssen ab. Sie brach den Kontakt zu einigen Menschen ab, die ihr „nicht gut getan haben“ und geht bewusster neue Beziehungen ein.

Schon nach der ersten Hypnosesitzung kam sie alleine, berichtete, dass sie danach „die Umgebung farblicher und schärfer“ sehen konnte und sich zunehmend leichter fühlte. Auf die Frage, „was denn der Teigmantel macht“, antwortete sie: „Ich habe Brötchen gebacken“ und irgendwann: „Ich habe meine Bäckerei geschlossen. Es gibt nämlich keinen Teig mehr.“ Sie lacht dabei fröhlich. Die Gerichtsverhandlung hat sie tapfer überstanden und auch wenn sie diese nicht gewonnen hat, sagte sie: „Das macht nichts. Ich habe trotzdem gesiegt. Für mich.“

Sie geht wieder zur Schule, schreibt gute Noten und zieht bald in ihre eigene Wohnung. Seit der Hypnosesitzung hat sie keine Lähmungen in den Beinen erlebt. Sie hat noch viele belastende Situationen vor sich, die sie meistern muss. Doch sie schaut diesen gelassener entgegen. Sie hat gelernt auf ihre Körpersignale zu hören und diese als Warnung oder Hinweis neu zu bewerten. Ich habe den Eindruck, dass sie sich auf Sitzungen freut, die mit den Sätzen anfangen: „Und jetzt schließe die Augen… spüre deine Füße auf dem Boden und beobachte einfach deinen Atem… und wie wunderbar dein Körper es macht, ganz von alleine… vertraue deinem Unbewussten, denn es ist wohlwollend und es wird alles für dich tun… alles erledigen…“

Und den Teigmantel, der damals zu ihrem Schutz entstanden ist, braucht sie nicht mehr… Stattdessen schaut sie vertrauensvoller dem Leben entgegen, das eine ewige Baustelle ist, sowie das Gehirn, denn sie hat gelernt, es zu beeinflussen. Und sonst… gibt es schließlich noch die Hypnose!

Iwona Dedek

Sozialpsychologin M.A.

HP Psych.

Hypnosetherapeutin MEG

LITERATUR: 

Milton H. Erickson/ Ernest L. Rossi: „Hypnotherapie. Aufbau-Beispiele-Forschungen“ (Klett-Cotta 2008)

John Grinder/ Richard Bandler: „Therapie in Trance. Neurolinguistisches Programmieren und die Struktur hypnotischer Kommunikation“ (Klett-Cotta 2007)

Verena Kast: „Vom Sinn der Angst. Wie Ängste sich festsetzen und wie sie sich verwandeln lassen“ ( Herder, 2012) 

Kathrin Asper: „Verlassenheit und Selbstentfremdung. Zugänge zum therapeutischen Verständnis von Narzismus“ (Patmos, 2012)     

Rick Hanson mit Richard Mendius: „Das Gehirn eines Buddha. Die angewandte Neurowissenschaft von Glück, Liebe und Weisheit“ (arbor 2010)

Agnes Kaiser Rekkas: „Im Atelier der Hypnose. Entwurf, Technik, Therapieverlauf“ (carl-auer 2005)

Sidney Rosen: „Die Lehrgeschichetn von Milton H. Erickson“ (iskopress 2006)

SPIEGEL WISSEN (1/2009) Interview: „Das Gehirn ist eine Baustelle“ mit GERALD HÜTHER (S. 52-58)

PSYCHOLOGIE HEUTE  Interview: „Die Depression ist das Ende einer langen Anpassungsphase“ (S. 11-13)